Die Jahresbilanz 2015 des Handels- und Industrievereins des Kantons Bern (HIV) fällt ernüchternd aus, wie dem Jahresbericht zu entnehmen ist. Nicht bloss der starke Schweizer Franken habe den vielen exportorientierten Unternehmen im Kanton Bern zugesetzt, auch die Steuerbelastung für Privatpersonen und Unternehmen sei nach wie vor viel zu hoch, wird bemängelt.
Der Euro sei auch im Kanton Bern das dominierende Thema des Jahres 2015 gewesen, hält Kurt Rohrbach, Präsident des HIV Kanton Bern, in seinem Rückblick auf das letzte Jahr fest. Bis heute seien die Folgen noch nicht definitiv abschätzbar. «Die unmittelbaren Auswirkungen auf die Exportwirtschaft fielen zwar zunächst dank recht guter Auftragslage weniger dramatisch aus als befürchtet, der Effekt auf die Zulieferer-Betriebe setzte aber rasch ein. Jedoch ist selbst heute die volle Wirkung noch nicht überblickbar», zeigt sich Rohrbach besorgt.
Mit ihrem hohen Exportanteil sei die bernische Wirtschaft besonders betroffen von dieser Entwicklung. Als Verband verfüge man bloss über eingeschränkte Möglichkeiten, die Betriebe in dieser Situation unmittelbar zu unterstützen. Für den HIV-Präsidenten ist deshalb klar: «Viel wichtiger ist, durch stete Kommunikation darauf einzuwirken, dass die angespannte Lage auch tatsächlich wahrgenommen wird.» Kurt Rohrbach ist sich bewusst, dass das regelmässige Sichtbarmachen der hohen Belastung der Unternehmen und der natürlichen Personen im Kanton Bern kaum Neuigkeitswert hat und vielen Akteuren unangenehm ist. Es sei aber kein Grund, es nicht zu tun. «Gerade im Zusammenhang mit der Frankenstärke muss aufgezeigt werden, welch dramatische und schmerzhafte Eingriffe die Mehrheit der Unternehmen laufend vornehmen muss.»
Kritisch äussert sich der HIV in seinem Jahresbericht auch zur Steuerstrategie der Berner Regierung. HIV-Direktor Adrian Haas ist zwar der Meinung, dass die Variante «höhere Senkung des effektiven Gewinnsteuersatzes» aus Sicht der Wirtschaft in die richtige Richtung gehe. Er befürchtet jedoch, dass die Unternehmenssteuerreform III die Dynamik im Wettbewerb noch einmal beschleunigen werde. Aus Sicht des HIV sei bei dieser Ausgangslage eine weitergehende Senkung der Unternehmenssteuern unumgänglich, wolle der Kanton Bern nicht weiterhin für Unternehmungen zu einem der drei steuerlich unattraktivsten Kantone in unserem Land gehören, fordert Haas die Regierung zu weiterem Handeln auf.
Kanton Bern steuerlich unattraktiv
Der Vergleich der steuerlichen Wettbewerbsfähigkeit des Kantons Bern mit andern Kantonen, der die Attraktivität des Kantons bezüglich Besteuerung von Unternehmen und natürlichen Personen sowie die Standortqualität mit den Nachbarkantonen vergleiche, zeige, dass der Kanton Bern bei der Besteuerung der natürlichen Personen nach wie vor eine erhebliche Einkommenssteuer bei hohen Spitzensteuersätzen erhebe. Tiefere Einkommen würden in Bern weniger stark entlastet als in andern Kantonen, während Einkommen ab 200’000 Franken einer vergleichsweise hohen Progression unterliegen würden. Für Haas ist deshalb klar: «Auch nach den Steuergesetzrevisionen 2012, 2014 und 2016 blieb und bleibt der Kanton Bern für natürliche Personen steuerlich äusserst unattraktiv.»
Dies führe dazu, dass Unternehmen bei der Rekrutierung von Kadermitgliedern Schwierigkeiten hätten und dass viele gut Situierte ausserhalb des Kantons Wohnsitz nähmen und weiter nehmen werden. Dies wiederum führe zu einem ungünstigen Nettopendlersaldo von aktuell 20’400 Personen, die zwar im Kanton Bern arbeiten würden, aber ihre Steuern in andern Kantonen bezahlten. Dem Kanton Bern entgingen dadurch jährlich Einkommens- und Vermögenssteuern im Umfang von rund 90 Millionen Franken. Beim HIV ist man deshalb der Meinung, dass mit den vorgeschlagenen Massnahmen das angestrebte Ziel, den Kanton Bern als attraktiven Wohn- und Wirtschaftskanton zu positionieren, bei weitem verfehlt werde. «Vielmehr besteht das Risiko, dass heute im Kanton domizilierte Unternehmungen bei der aufgezeigten Entwicklung aus steuerlichen Gründen eine Standortverlegung in Betracht ziehen werden», befürchtet der HIV-Direktor.
Walter Ryser